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Wettbewerb Sommersemester 2006 - fertiges Unterrichtsmodul

Vergängliches Haus für vergehende Momente.
Notunterkünfte aus Karton

Hermann Schnöll (Architekt), Elisabeth Struber-Lienbacher (Lehrerin)
Privatgymnasium der Herz-Jesu-Missionare Salzburg,
2.Klasse Werkerziehung (15 Schüler)

 

1. Projektbeschreibung

Auseinandersetzung mit Raum, auf seine wesentlichen Eigenschaften beschränkt.
Ausgangspunkt: Notunterkünfte

Ziele:

  • Erkennen, dass Raum und Architektur soziale und emotionale Seinszustände beeinflussen können.
  • Verständnis fördern für Verhaltensweisen in unterschiedlichen Not- Ausnahmesituationen.
  • Bestimmen der persönlichen Raumbedürfnisse und die einer größeren Gruppe.
  • Einen Zusammenhang herstellen können zwischen Raumform, Funktion und sozialen Faktoren.
  • Planen von maßstabsähnlichen Modellen aus Karton. Entwickeln und Erproben von Verbindungsmöglichkeiten.
  • Bau von Kartonhäusern im Maßstab 1:1.

2. Verlauf

1.Phase Analyse, Projektrahmen

a) Einstieg (1 Stunde.)

  • Nachempfinden einer Ausnahmesituation, welche von enormer räumlicher Einschränkung geprägt ist. Ort: kleines Sprechzimmer. Im beengten Raum werden in 10 Minuten Intervallen verschiedene Freizeit- und Alltagsaktivitäten realisiert:
    Schlafen, Morgengymnastik, Lesen, Spiel, Musik.

b) Reflexion (1 Stunde)

  • Jeder Schüler schreibt je 3 Vorteile und je 3 Nachteile zu den erlebten Aktionen auf.

c) Analyse (2 Doppelstunden)

  • Festlegen von grundlegenden Bedürfnissen/Tätigkeiten. Ausmessen der Flächen. Zeigen von Bildbeispielen.
  • Reflexion (Tafelbild und Diskussionsrunde)
  • Welche Notsituationen, Ausnahmesituationen sind uns im eigenen Land und/oder Ausland bekannt?

2. Phase – räumlicher Lösungsansatz (1 Stunde)

Zu Beginn beschreibt jeder Schüler / Schülergruppe/Team „seine/ihre“ frei gewählte Notsituation und die daraus resultierenden Lebensbedürfnisse.

Beispiel: Tsunami

  • Eine Riesenwelle kommt auf das Dorf zu. Alle Menschen von diesem einen Dorf, wo der Tsunami ist, brechen in Panik aus. Alles wird evakuiert und abgesichert. Manche Leute baden noch, aber sie werden bald sterben. Häuser sind kaputt und alles ist überschwemmt. Irgendeiner filmt alles, aber sagt nichts. Menschen ertrinken. Alle Menschen versuchen sich in Sicherheit zu bringen, in Bunkern unter der Erde, über der Erde.
  • Einige Leute suchen Schutz in einer Notunterkunft. Am nächsten Morgen sind viele Häuser zerstört, die Menschen, die in den Notunterkünften überlebten, erleiden einen großen Schock.
  • Nach dem Tsunami ist das Wetter sehr schön, sehr heiß, die Sonne prallt vom Himmel. Für die Übergangszeit können wir in einem Haus aus Pappe wohnen, genannt das Viereck. Innen ist es braun, außen weiß. Es wird mit Laschen oder Schrauben verbunden. Dieses Haus ist für zwei Personen bestimmt. Die Grundfläche ist quadratisch und hat eine Fläche von 4m2
  • 4 Wände, eine Decke und der Boden, ein klappriges Klappbett, ein Kissen und eine Decke und eine Toilette, wenig Essen, ein Ofen (Roman und Chris)

Beispiel: Überschwemmung

  • Bei einer Überschwemmung müssen wir in Notunterkünfte, die wenig Platz bieten, übersiedeln, und mit den lebensnotwendigen Dingen auskommen. Das sind z. B. Essen, Schlafen usw. Wir müssen auf Klappbetten schlafen und haben wenig Platz. Wir könnten vielleicht nicht einmal nach draußen gehen.
  • Die Notunterkunft muss viel Platz für möglichst viele Personen und Essensgelegenheiten bieten. Wir müssen schauen, dass wir nicht verhungern.
  • Ungemütlich, Platzangst, Hungersnot, wenig Luft, harte Betten, Essen, etwas zu trinken, Decke, Polster, Toilette, Turnsaalraum, es muss warm sein. In der Notunterkunft sollen zwei Leute Platz haben. Die Grundfläche ist ca. 6m2 groß. Die Notunterkunft sieht wie eine Schuhschachtel aus, die zwei Knicke hat. Das Wetter soll nicht zu grausig sein, das heißt es soll nicht viel Wind gehen.
  • Eines Tages stieg die Salzach über das Ufer. Alle starben, bis auf uns. Wir hatten noch unsere riesigen Schuhschachteln. (Toni und Bernd)

Beispiel: Notunterkunft

  • Der Raum soll trocken und warm sein. Nahrung und etwas zu trinken wäre nicht schlecht. Luft zum überleben. Decken braucht man auch. Unsere Notunterkunft schützt vor der Sonne, Wind und ein wenig vor dem Regen. In der Notunterkunft gibt es keine Dusche, nichts zu waschen, aber die bietet auch viel Stauraum und Privatsphäre, Kochen kann man aber auch und sie ist sehr gemütlich.
  • Die Notunterkunft hat ein Tonnengewölbe und ist ca. 8 m2 groß. Vier Personen haben Platz und können schlafen. Es können aber auch mehr Leute Platz haben. Das Haus ist aus Karton gebaut.
  • Klappbetten, Essen, Trinken, Wärme, Trocken, Decken, Luft (Sebastian, Paul, Flo, Johannes

3. Phase – Entwurf  (2 Doppelstunden)

  • Kennenlernen der materialspezifischen Eigenschaften des Baumaterials Karton. Geeignete Verbindungstechniken ausprobieren. Entwickeln von Modellen (Maßstab 1:50) für diese spezifischen Notunterkünfte (Einzeln, Zweiergruppen, Vierergruppen)

4. Phase – Realisierung (Block 1 Halbtag und 1 Doppelstunde)

  • Umsetzung der Entwürfe im Maßstab 1:1 aus Karton. (Einzeln, Zweiergruppen, Vierergruppe)
  • Kartonplatten (160 x 220 cm) werden gemessen, geschnitten, und gefalzt.

5. Phase – interner Schulwettbewerb (1 Doppelstunde)

  • Schüler bieten in kleinen Gruppen für 2. und 3. Klassen einen Wettbewerb an. Die jeweiligen Notunterkünfte werden zusammengebaut und die Zeit wird gestoppt.
  • Vergleich und Besprechung
  • Das Zusammenbauen der Häuser dauerte zwischen 5 und 40 Minuten, je nach Unterkunft.
  • In der vorletzten Schulwoche übernachteten wir mit den Notunterkünften im Schulgebäude. Die Unterkünfte wurden abends aufgebaut und morgens wieder abgebaut.
  • Die Häuser bewährten sich für diese Nacht.

6. Phase – Dokumentation, Präsentation 

  • Die vergänglichen Unterkünfte wurden anschließend für alle Schüler der Schule im überdachten Schulhof für drei Tage aufgestellt (gekoppelt mit einer schulinternen Veranstaltung).
  • Film über den Workshop wurde gedreht und Schülern gezeigt. Beitrag für den Jahresbericht.

Feedback

"Ich fand das Notunterkunftprojekt sehr lustig. Beim Bauen hatte ich sehr viel Spaß. Was ich nicht so gut fand, war, dass die Kinder, die das Haus im Wettbewerb zusammenbauten, sehr unachtsam mit dem Haus umgingen. Außerdem hätte ich gerne einen dickeren Karton gehabt, weil die, die wir verwendeten, manchmal knickten. Ich fand sehr gut, dass mehrere Schüler ein Haus bauten, da es sonst sehr viel länger gedauert hätte". Laurenz Rabl

"Durch Vierer-Schülergruppen ergaben sich sehr große Notunterkünfte, die durch die Materialeigenschaft des Kartons an die Grenzen der Stabilität stießen. Günstiger waren Zweier- oder Einzelarbeiten, es ergaben sich wesentlich kompaktere und stabilere Unterkünfte. Besonders stabil waren Häuser, deren Seitenwände einen Knick für Boden und Decke aufwiesen. Kartonteile kann man mittels Laschenverbindungen schneller zusammen- und auseinanderbauen. Die Schraubverbindungen benötigen beim Zusammenbauen mehr Zeit, sind jedoch für diese Altersstufe bei komplizierteren Verbindungen einfacher und schneller einzusetzen. Eine Kombination von beiden Möglichkeiten der Steckverbindung empfand ich als ideal." Mag. Elisabeth Struber-Lienbacher

"Die Umsetzung des Gesamtprojektes mit den einzelnen Projektschritten ist sehr gut gelungen. Die Dichte des Programms und die Vielzahl der "Baustellen" ermöglicht es, die Entwicklung der einzelnen Häuser auch von der sozialen Dynamik innerhalb der Projektteams zu prüfen." Arch. Hermann Schnöll

3. Transfer

  • Wenn ein großer Raum für die 4. Phase-Realisierung und 5. Phase Präsentation zur Verfügung steht, ist das Unterrichtsmodell für die 6. Schulstufe 1:1 übertragbar.
  • Voraussetzung sind Kartonplatten der Größe 160 x 220 cm.
  • Der gesamte Ablauf ist als Einheit zu sehen. Phase 1, das Nachempfinden der Ausnahmesituationen ist
  • für die 5. und 6. Schulstufe als spielerischer Einstieg zu empfehlen. Für Oberstufenschüler sind Phase 2 und Phase 3 interessant.
  • Einzelne Projektschritte, wie Selbsterfahrung, Research, Programm, Entwurf/Modell, Prototyp sind auch für andere Projekte sehr wertvoll.
  • Leicht bearbeitbare Materialien wie Karton, Holz, Seile samt Verbindungstechnologien, welche auch maßstäblich (z.B. 1:5) im Modell getestet werden können eingesetzt werden.

4. Module

Modul 1

Einstieg:

a) Notunterkunft (1 Stunde)

  • Notsituationen sind in den Medien ein häufig vorkommenden Thema. Es dient als Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit Raum, der sich auf seine wesentlichen Eigenschaften beschränkt.
  • Einstieg ins Thema: Nachspielen /-empfinden einer Ausnahmesituation, welche von enormer räumlicher Einschränkung geprägt ist. Der Werkraum muss verlassen werden. Schüler wandern in ein kleines Zimmer (z.B. Sprechzimmer). In dieser beengten Situation werden in 10 Minuten Intervallen verschiedene Freizeit- und Alltagsaktivitäten realisiert: Schlafen, Morgengymnastik, Lesen, Spiel, Musik.

b) Reflexion (1 Stunde)

  • Jeder Schüler schreibt je 3 Vorteile und je 3 Nachteile zu den erlebten Aktionen auf.
  • Diese Ergebnisse werden übersichtlich und farblich differenziert an der Tafel festgehalten und zusammenfassend besprochen.

c) Analyse (2 Doppelstunden)

  • Festlegen von grundlegenden Bedürfnissen/Tätigkeiten. Ausmessen der dafür benötigten Flächen/ Raumgrößen.  (30 Minuten für Schreiben und Ausmessen)
  • Reflexion:
    • Ergebnisse an der Tafel festhalten, besprechen und vergleichen.
    • Bildbeispiele:
      • - Japan. Schlafkojen
      • - Modellentwürfe von Architektur - Studenten zum Thema Notunterkünfte.
      • - Shigeru Ban, japanischer Architekt, der Notunterkünfte aus Karton für Ruanda und Kobe entwarf und
      •   einsetzte.
      • - Super Dome bei der Tsunami Katastrophe
    • Sammeln bekannter regionaler/ überregionaler Notsituationen/Ausnahmesituationen, Katastrophen
    • mittels Tafelbild und Diskussionsrunde.

  • In einer Reflexion wurden anschließend die Erfahrungen festgehalten :
    • Welche Notsituationen, Ausnahmesituationen sind uns im eigenen Land und/oder Ausland bekannt?
    • Welche Notsituationen gibt es noch außer Katastrophen?
    • Wie kann ich diese räumlich, architektonisch auffangen, mildern?
    • Für welchen Zeitraum könnte das Notquartier dienen?
    • Wie viel Platz benötige ich für diese Situation?
    • Wie kann ich meine Privatsphäre wahren?
    • Auf welche Dinge muss ich für eine Zeit verzichten?
    • Wie verbringe ich die Zeit und mit welchen Aktivitäten in dieser Situation?
    • Wie wichtig ist Individualität für die Gemeinschaft?
    • Materialwahl: recycelbar, billig, einfach zu bearbeiten.

Modul 2

Räumlicher Lösungsansatz

  • Als Ausgangspunkt für räumliche Lösungsansätze erhält jedes Team (Einzel/Gruppen) folgende Aufgabe (Zeit: max eine Stunde):
  • Beschreibe eine frei gewählte Notsituation. Welche Lebensbedürfnisse haben die Menschen?

Entwurf (2 Doppelstunden)

  • Kennenlernen der materialspezifischen Eigenschaften des Baumaterials Karton. (Durch Vorzeigen des Lehrers: Falzen, Knicken, Schneiden des Kartons).
  • Geeignete Verbindungstechniken ausprobieren. (Einfachen, stabile Ecklaschenverbindung aus Karton; Mutter, Schrauben, Beilagscheiben)
  • In der nachfolgenden Entwurfsphase werden spielerisch und spontan, jedoch in Bezug zur selbst gewählten und beschriebenen Notsituation, Modelle (Maßstab 1:50) für diese spezifischen Notunterkünfte - ein „Haus“ für vergehende Momente - entwickelt. (Einzeln, Zweiergruppen, Vierergruppen)

Modul 3

Realisierung (Block 1 Halbtag und 1 Doppelstunde)

  • Umsetzung der Entwürfe im Maßstab 1:1 aus Karton. (Einzeln, Zweiergruppen, Vierergruppe)
  • Kartonplatten (160 x 220 cm) werden gemessen, geschnitten, und gefalzt.
  • In der Endphase werden die einzelnen Kartonteile mittels Klebeetiketten beschriftet, damit ein reibungsloses und schnelles Zusammenbauen der einzelnen Kartonteile gewährleistet ist.
  • Kartonplatten dieser Größe bezieht man am besten von einem Kartonagenhersteller direkt ab Fabrik, wo man entweder günstige Konditionen oder im Rahmen von Sponsoring das Material kostenlos erhält.

Modul 4

Nutzung und Erprobung

  • Schüler bieten in kleinen Gruppen für 2. und 3. Klassen einen Wettbewerb an. Die jeweiligen Notunterkünfte werden zusammengebaut und die Zeit wird gestoppt.
  • Übernachtung in den Notunterkünften mit Auf und Abbau.


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