arbeitskreis:
architektur - technik + schule
das salzburger modell
prozesshafter architekturvermittlung
newsletter


projekte

Wettbewerb Wintersemester 2005/06 - fertiges Unterrichtsmodul

Exquisite Corpse


BG St. Johann im Pongau, Klasse 8 g, r
Rudolf Portenkirchner (Lehrer), Ambros Spiluttini (Architekt)

 1. Projektbeschreibung
Ausgangspunkt ist die Methode „Exquisite Corpse“, die 1925 von den Surrealisten, basierend auf dem alten Gesellschaftsspiel Consequenses entwickelt wurde. Jeder Teilnehmer schrieb ein Wort auf einen Zettel, faltete diesen zum Verdecken und gab es an den nächsten weiter. Der Name stammt vom ersten Satz „The exquisite corpse will drink the young wine“, der auf diese Weise entstanden sein soll. Später wurde diese Methode auch mit Zeichnungen und Collagen erprobt. (http://en.wikipedia.org/wiki/Exquisite_corpse )

Der New Yorker Architekt und Architekturtheoretiker Michael Sorkin hat diese Methode bei experimentellen Städtebau Seminaren an internationalen Universitäten (Harvard, Columbia und vielen anderen) angewendet. Bei einem Seminar von Prof. Michael Sorkin an der Akademie der Bildenden Künste 1994 hat Ambros Spiluttini diese Methode kennen gelernt und später für seine eigenen Arbeiten und Projekte adaptiert. Ziel ist es, die in Teamarbeit und Zufall verborgene Kreativität aufzuzeigen und zu nutzen.

Zum Beispiel das Dreierprojekt:
Am Beginn werden die Teilnehmer in Dreiergruppen für ein gemeinsames Projekt ausgelost. Die minimale Bearbeitungslänge eines Kurzprojekts ist 1,5 - 2 Stunden. Im ca. 10 Minuten Takt werden die Teilnehmer angehalten, an einem Objekt zu arbeiten, dann wird ausgetauscht. In den nächsten Schritten werden die Objekte von einer anderen Person weiter bearbeitet. Dabei darf nach Belieben weggenommen oder hinzugefügt werden.
In 10 Minuten müssen eine Vielzahl von Entscheidungen getroffen werden. In der kurzen Zeit ist es nicht möglich, alles zu überlegen und zu begründen. Der Intuition kommt eine wichtige Rolle zu.
Durch die Weitergabe ändern sich die Voraussetzungen. Das Objekt wird von anderen Personen verändert. Das Konzept muss adaptiert werden. Die eigenen Überlegungen werden auf der Grundlage der bereits dargestellten Ideen der anderen kritisch überprüft.
In diesem Fall arbeiteten die Teilnehmer mit den Mitteln der Architektur: Zeichnung (Grundriss), Collage (Schnittcollage) und Modell. Auf diese Weise überarbeitet man alle 30 Minuten die gleiche Station, die sich jedoch in der Zwischenzeit völlig verändert hat. Nach ca. drei Umläufen (1,5-2 Stunden) lässt die anfängliche Energie nach. Dann ist es Zeit, in einer Besprechung den Arbeitsprozess zu reflektieren und gemeinsam zu überlegen:
Nach dem intuitiven Handeln wird dabei die Fähigkeit gefördert, Gedanken und Ideen zu formulieren und während des intensiven Austausches gemachten Erfahrungen mitzuteilen und zu diskutieren..

Methoden und Erfahrungen

„Shifting Media“:
Durch das oftmalige kontrollierte Austauschen der Grundlagen wird der eigene Ausgangspunkt immer wieder aufs Neue überprüft. Ideen und Einfälle, die in dem einen Medium verfolgenswert erscheinen, können nach dem Grundlagenwechsel sofort in einem anderen Medium überprüft werden.

  • Überarbeiten und überarbeitet werden:
  • Weil eigene Interventionen durch andere Teilnehmer überarbeitet und neu interpretiert werden, entstehen unerwartete Zusammenhänge, was die Kreativität herausfordert.
  • Kopf gegen Bauch:
  • Keine Angst vor dem weißen Blatt:
  • Es ist möglich, schnell Ergebnisse zu produzieren.
  • Das Überarbeiten durch andere tut weh.
  • Die Ergebnisse eines intensiven Austausches mit anderen sind überraschender, oft besser als die eigenen Ideen.

Verlauf
Der Workshopleiter wählt eine Grundlage und ein Medium. Der Zeitraum zur Bearbeitung wird aus der zur Verfügung stehenden Zeit ermittelt. Nach einer verstrichenen Zeiteinheit wird einfach ein Platz weiter gerückt. Am Ende werden die entstandenen Projekte von den Teilnehmern präsentiert und besprochen.

Den Endpunkt bildet eine Finalkritik. Dabei werden sowohl die formalen und künstlerischen Aspekte als auch die gruppendynamischen Prozesse gemeinsam mit einer Jury und den anderen Teilnehmern analysiert.

Kurzprojekt 1 (min. 2 Stunden) Dreiergruppen
Die 12 Teilnehmer wurden durch Los in vier Dreiergruppen eingeteilt.
Jede Gruppe bearbeitete im 15 Minuten Takt das Thema „Schiefe Ebene“ als Grundriss (eindimensional, gezeichnet), Schnitt (zweidimensional, Collage) und als Modell (dreidimensional), anschließend Besprechung

Kurzprojekt 2 (min. 2 Stunden) Dreiergruppen
Die Aufgabenstellung war, in vier Dreiergruppen aus einem der vier Modelle des 1. Kurzprojekts einen Teilbereich zu nehmen und neu zu interpretieren.
60 Minuten Arbeitszeit, anschließend Besprechung

Kurzprojekt 3 (min. 2 Stunden) Gemeinschaftsarbeit
Anfertigen eines sieben Meter langen, zwölfteiligen Schnittes durch eine gedachte Stadt oder Gebäudestruktur in gemischter Technik (Zeichnung und Collage) als Gemeinschaftsarbeit.
Zur Anregung der Phantasie wurden die bereits angefertigten Modelle in einer Reihe aufgestellt und sollten in Teilbereichen auf Papier (60 x 80 cm) übertragen werden. Zuteilung durch Los. Neben der Entwicklung einer stimmigen Grundlage war besonders auf die Übergänge zu den Nachbarn zu achten. Arbeitszeit je 10 Minuten. Keine Schlussbesprechung.

Kurzprojekt 4 (min. 2 Stunden)  Individualprojekt
Erarbeiten von Individualprojekten. Jedem Teilnehmer wurde ein Teil des zwölfteiligen Schnitts zugelost. Dieser diente zur Anregung der Phantasie und war Ausgangspunkt für ein Schnittmodell (Zwischenstufe zwischen Schnitt und Modell). Besonderes Augenwerk wurde auf die Übergänge zu den Nachbarn gelegt.

Schlussbesprechung (min. 2 Stunden)
Ausgehend vom Individualprojekt fand am letzten Tag die Endkritik vor der Jury und den anderen Teilnehmern statt. Der große Schnitt, alle Kurzprojekte und das Individualprojekt wurden arrangiert und besprochen

Resümee

  • Beim ersten Kurzprojekt ließen sich zwei Reaktionen unterscheiden: Die einen begannen sofort zu arbeiten, andere wussten nicht genau, was verlangt war.  Nach einigen Minuten Verwirrung und wohl auch wegen der Anfeuerungen des Workshopleiters und dem Gruppendruck begannen auch die letzten Zweifler zu arbeiten. Die Schwierigkeit dabei ist natürlich sich selbst und die anderen Teilnehmer zuerst von den Prämissen des zielgerichteten Handelns zu befreien.
  • Das Ziel des Projektes ist nicht das Erzeugen von möglichst schönen Einzelstücken; es sind vielmehr die Erfahrungen, die bei der Zusammenarbeit unter Zeitdruck gemacht werden. (schnelles intuitives Reagieren auf das Vorgefundene - die Grundlage, der Ort , das Überarbeiten bzw. Umarbeiten der Grundlage, und das Erlebnis, wenn eigene Ideen überarbeitet und umgearbeitet werden.)
  • Dem Geist des gesamten Projekts angemessen ist es, zuerst zu handeln und dann zu sprechen. Deshalb ist es sinnvoll, am Anfang nicht zu viele Worte über Hintergrund und Ziele des Workshops zu verlieren, die Endkritik aber umso ausführlicher zu gestalten, um möglichst verständliche und nachvollziehbare Antworten zu geben.
  • Je mehr und intensiver gearbeitet wird, desto erfolgreicher ist der Workshop. Fragen die während der Arbeitszeit auftauchen, sollten - sofern sie nicht zur Klärung des unmittelbaren Arbeitsablaufes beitragen - möglichst zu den Präsentationszeiten am Ende jeder Einheit besprochen werden.
  • Schön ist auch, wenn bei der Schlusspräsentation gute, kritische Fragen auftauchen. Eine positive Überraschung war die vorurteilsfreie Zugangsweise zur Gestaltung. Bei den grafischen Fertigkeiten und der Fähigkeit zur Abstraktion war die Lernkurve sehr steil.
  • Der Ansatz des Workshops ist kontrovers und spielt unter anderem auch mit Kunst- und Kulturbegriffen. Da sind schnelle Antworten und einfache Interpretationen nicht unbedingt zielführend darum ist es wichtig eine umfassende Nachbesprechung anzusetzen eventuell auch mit Gastjuroren! Es ist unverzichtbarer Teil des Workshops, dass bei der Endbesprechung Feedback gegeben und alle aufgetauchten Fragen, Zweifel und Kritikpunkte ausführlich mit dem Workshopleiter und der Jury besprochen werden. (A. Spiluttini)

Eine DVD des Workshops liegt bei AT-S auf.

2. Transfer

Als Werkzeug für Lehrveranstaltungen sind die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten von „Exquisite Corpse“ noch lange nicht ausgelotet.

Dieser Ansatz ist sehr wandelbar und kann erfolgreich für jede Altersstufe adäquat adaptiert werden. Das wichtige bei dieser Arbeitsweise ist der Prozess (Das schnelle, intuitive Reagieren auf das Vorgefundene, das Überarbeiten und das Erlebnis des Überarbeitet Werdens) und später das gemeinschaftliche Reflektieren über den Prozess und die Ergebnisse.

Workshops mit A. Spiluttini: Anfragen bitte an AT-S

3. Module für die Unterrichtsplanung

Empfehlung
Mindestens 2 Kurzworkshops in Dreiergruppen
1 oder 2 Gemeinschaftsprojekte
1 Individualprojekt
Schlussbesprechung

1. Kurzprojekt ca. 2 Stunden
Gruppeneinteilung durch Los in Dreiergruppen.
Jede Gruppe bearbeitet ein Projekt, bestehend aus

  • Grundriss: gezeichnet, eindimensional
  • Schnitt: Collage, zweidimensional
  • Modell: dreidimensional

Material:

  • Modelle: (zum Beispiel schiefe Eben; Kante, Geländesprung, . . .auch leere quadratische bzw. rechteckige Grundlage ist möglich)
  • Modellbaumaterial Wellpappe (alte Schachteln), Karton, Holzstäbchen, Papier
  • Heißkleber / Kleber
  • Grundrisse: Stifte, Lineale
  • Collagen: Zeitungen, Magazine, Scheren, Klebstoff

Erklärungen zur Arbeitsweise für das Übertragen von Informationen von einem Medium ins andere (z.B. vom Grundriss zu Schnitt zu Modell) zur Orientierung.

Grundriss: ist immer ein horizontaler Schnitt in einer bestimmten Höhe. Durchschneidet man eine schiefe Ebene ca. in der Hälfte und überträgt das Ergebnis auf ein Blatt, so ist der Grundriss eine Linie, die sich etwa in der Mitte dieses Blatts befindet. Diese Linie auf dem Grundrissblatt ist die Schnittlinie zwischen Erde und Luft. Als Schnitt wird auf einem zweiten Blatt eine Linie eingetragen, die entsprechend der Neigung der schiefen Ebene ansteigt.

Mit dem Modell einer schiefen Ebene, einem Grundriss, einem Schnitt und dem Material für den Modellbau sind die Arbeitsgrundlagen für den Beginn vorbereitet.

Alle 10 Minuten werden die Arbeitsgrundlagen innerhalb der Dreiergruppen gewechselt. Nach ca. 1,5 Stunden sind die Projekte, bestehend aus je einem Grundriss, Schnitt und Modell fertig.

Nach einer kurzen Pause Präsentation der Projekte durch die Gruppen und Besprechung.

2. Gruppenprojekt (ca. 2 Stunden)

  • Papier im Format 60 x 80 cm wird auf einer langen Tischreihe aufgelegt (für jeden 1 Blatt). Zuteilung zu den Sitzplätzen durch Los.
  • Zur Anregung der Phantasie Aufstellen der vorher erarbeiteten Modelle. In Teilbereichen sollen diese auf Papier vergrößert aufgetragen und bearbeitet werden.
  • Arbeitszeit: 10 Minuten
  • Anfertigung eines Schnitts durch eine gedachte Stadt oder Gebäudestruktur (Zeichnung, Collage). Entwicklung einer stimmigen Grundlage unter besonderer Berücksichtigung der Übergänge zu den Nachbarn.

3. Individualprojekt ca. 2 Stunden

Jedem Teilnehmer wird ein Teil des Schnitts zugelost. Dieser dient zur Anregung der Phantasie und  bildet den Ausgangspunkt für ein Schnittmodell. Als Zwischenstufe zwischen Schnitt und Modell ermöglicht es, dem Schnitt eine bestimmte Tiefe zu geben, aber dennoch nicht alles über das gesamte Projekt sagen zu müssen.

4. Endkritik (Richtzeit: ca. 10 - 15 min pro Teilnehmer) 

Alle entstandenen Arbeiten werden im Raum arrangiert. Gut wäre,. hier auch Gastjuroren einzuladen, um der Schlusspräsentation etwas mehr Gewicht zu verleihen und sie von den anderen Besprechungen abzuheben.
Jeder einzelne Teilnehmer bespricht seine Beiträge und die gruppendynamischen Vorkommnisse, beginnend mit dem Individualprojekt.

  • Worum ist es mir (uns) gegangen?
  • Welche Erfahrungen habe ich gemacht?
  • Wie hat die Gruppe funktioniert?
  • Wie wurden Krisen gemeistert?
  • Was würde ich nächstes Mal anders/besser machen?

Jury und Publikum gehen auf gestalterische, gruppendynamische und persönliche Aspekte ein. Dabei wird darauf Bedacht genommen, nicht primär eine Einteilung in gut oder schlecht zu treffen sondern spezifische Aspekte der jeweiligen persönlichen Entwicklung im Laufe des Projektes sowohl in künstlerischer als auch in gruppendynamischer Hinsicht herauszuarbeiten. Ziel dieser Endkritik wäre es, jedem einzelnen Teilnehmer, quasi als Dank für die eingesetzten Energien, in persönlich angepasster Form ein kleines Paket - bestehend aus künstlerischen und gruppendynamischen Anregungen - in verständlicher und dem jeweiligen Entwicklungsstand entsprechend verarbeitbarer Form mit nach Hause zu geben.


ziele+konzeptewettbewerbprojektekontakt teamsponsoren • 2006 •